Studientypen im Studiendesign von klinischen Prüfungen von Medizinprodukten

Im Folgenden wird näher auf die Studientypen als ein Kernkriterium des Studiendesigns eingegangen, die in klinischen oder sonstigen klinischen Prüfungen von Medizinprodukten zum Einsatz kommen können.

Studientypen in klinischen Prüfungen: Die richtige Wahl für aussagekräftige Ergebnisse

Die Wahl des Studientyps erfolgt nicht nur anhand notwendiger wissenschaftlicher Kriterien, sondern auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse und Möglichkeiten, wie sie sich aus der Regulatorik, den verfügbaren Ressourcen, den Kapazitäten sowie der Realisierbarkeit ergeben. Die sorgfältigen Vorarbeiten entscheiden später über die Qualität der Studie. Die Bewertbarkeit der Ergebnisse, die Aussagekraft einer medizinischen Studie und damit der Erfolg des gesamten Vorhabens hängen maßgeblich davon ab.
Im Rahmen klinischer Prüfungen werden unterschiedliche Studientypen eingesetzt, die jeweils spezifische Ziele und methodische Ansätze verfolgen. Die Auswahl erfolgt vor dem Start der Studie und ist von entscheidender Bedeutung für deren Erfolg.

Literaturarbeit versus klinische Studien

Im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens von Medizinprodukten erfolgt üblicherweise eine Zusammenstellung der Ergebnisse durch eine systematische Literaturbewertung und -zusammenfassung anhand von Sekundärdaten im Rahmen einer klinischen Bewertung. Demgegenüber steht die Forschung an Primärdaten, zu der auch klinische oder sonstige klinische Prüfungen von Medizinprodukten gehören, im Gegensatz zu den Ergebnissen, die im Rahmen einer klinischen Bewertung zusammengetragen werden. In der Untersuchung von Primärdaten werden Studientypen der experimentellen (Grundlagenforschung), klinischen und epidemiologischen Studien unterschieden. Hierbei kann es auch Überlappungen und Mischformen geben.

Wichtig: eine falsche Entscheidung über den Studientyp ist später nicht mehr korrigierbar!‍

Wir führen hier die wichtigsten Studientypen auf, damit Sie sich einen ersten Überblick verschaffen können und zeigen Ihnen auch, welche Evidenzstufen* (auch Evidenzniveau oder Evidenzklasse) nach wissenschaftlichen Kriterien mit unterschiedlichen Studientypen erreicht werden können.

Für das Erreichen der unterschiedlichen Evidenzniveaus werden durch externe Begutachtungen auch immer weitere Faktoren aus dem Studiendesign im Rahmen der Studienkonzeption neben dem Studientypen und auch in wieweit die im Studienprotokoll festgelegten Vorgaben umgesetzt und für die gewählte Fragestellung geeignet sind, berücksichtigt.

Interventionelle versus nichtinterventionelle Studientypen

Klinische Studien oder auch klinische Prüfungen mit Medizinprodukten können sowohl interventionell als auch nicht-interventionell durchgeführt werden. Bei einem interventionellen Studientyp wird eine studienbedingte Intervention an Studienteilnehmenden vorgenommen, während dies bei einer nicht-interventionellen Studie nicht der Fall ist.
In der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) wird formal keine Differenzierung zwischen interventionellen und nicht-interventionellen klinischen oder sonstigen klinischen Prüfungen vorgenommen. Auch im Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) findet sich keine derartige Unterscheidung. Lediglich bei den Voraussetzungen für die Bestimmung als Leiter einer Leistungsstudie werden interventionellen klinischen Leistungsstudien mit In-vitro-Diagnostika Verordnung (EU) 2027/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) erwähnt. Der Begriff der klinischen Prüfungen von therapeutischen Medizinprodukten wird meist im Sinne von interventionellen Studien verwendet

Prospektive versus retrospektive Studientypen

‍Des Weiteren wird eine weitere grundsätzliche Unterteilung in vorausschauende (prospektive) oder rückblickende (retrospektive) Studien vorgenommen. Die Aussagekraft von prospektiven Studien ist aufgrund ihrer höheren Qualität stärker als die von retrospektiven Studien.

Dies lässt sich durch die vorherige Planung im Rahmen der Studienkonzeption begründen, bei der die Fragestellung formuliert und nachfolgend das Studiendesign optimal ausgerichtet wird.

Zu den Qualitätsmerkmalen prospektiver Studien zählt der Ausschluss von Zufallszusammenhängen, die statistische Planung, die Gewährleistung einer ausreichend langen Beobachtungsdauer, die Fallzahlplanung, die Wahl einer geeigneten, validierten Messmethodik, einer repräsentativen Studienpopulation, Vermeidung von Verzerrungen, qualitätssichernde Maßnahmen inkl. Überwachung der protokollgerechten Durchführung sowie die Identifikation des ungedeckten medizinischen Bedarfs. Als Goldstandard für klinische Prüfungen gelten randomisierte, kontrollierte und verblindete klinische Prüfungen mit Fallzahlplanung.

Im Gegensatz dazu stehen die retrospektiven Studien, bei denen die Sicherheit, Wirksamkeit oder der Nutzen eines medizinischen Verfahrens, einer Therapie oder einer Leistung eines In-vitro-Diagnostikums anhand von existierenden Daten empirisch untersucht wird. Auch hier lässt sich die Aussagekraft der Studie durch den Einsatz sorgfältiger Methodik, beispielsweise bei einer Fall-Kontroll-Studie, erhöhen. Diese Studienform eignet sich in besonderem Maße zur Aufdeckung von Ursachen sehr seltener Erkrankungen über lange Zeiträume.

Wichtig: Allen Studienformen ist gemein, dass sie nach den verbindlichen internationalen Regeln, der sogenannten „Guten Klinischen Praxis“ entsprechend ISO14155 durchgeführt werden sollen, und alle Studienteilnehmenden nach Aufklärung ihr Einverständnis gegeben haben müssen.

Studientypen und Evidenzstufen

Hier sind beispielhaft einige der wichtigsten Studientypen, die in der klinischen Forschung, insbesondere für Medizinprodukte im therapeutischen Bereich, verwendet werden:

1. Randomisiert-kontrollierte Studie (RCT):

Die Studie wird in die Zukunft geplant, wobei die Teilnehmenden zufällig in eine sogenannte Interventionsgruppe (erhält das Prüfprodukt) oder eine Kontrollgruppe (enthält nur die Standardtherapie, ggf. ein Placebo oder keine Therapie) eingeteilt werden. Es empfiehlt sich, bereits im Vorfeld eine Vorstellung davon zu haben, welche Ergebnisse präsentiert werden sollen und wie viele Patient:innen in die Studie eingeschlossen werden sollten.

  • Ziel: Vergleich der Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit, des Nutzens und/oder der Sicherheit eines Medizinprodukts mit einer Kontrollbehandlung und Ausschluss von sogenannten verzerrenden Faktoren auf die Studienergebnisse, um deren Einfluss auf die Studienergebnisse zu minimieren. Die Durchführung einer RCT erfordert die Beachtung einiger Besonderheiten, die im Folgenden erläutert werden.
  • Komplexität: Eine RCT ist relativ komplex und benötigt die Durchführung durch hierfür besonders qualifiziertes Personal.
  • Einsatz und bestmögliche Evidenzstufe*: Eine RCT ist der Goldstandard für eine klinische Prüfung, insbesondere, wenn z. B. die endgültige Aufnahme eines innovativen Produkts in das DiGA-Verzeichnis angestrebt wird. Die Evidenzstufe Ib kann erreicht werden.

2. Kohortenstudie

Beobachtungsstudie im Längsschnitt über einen definierten Zeitraum, bei der eine Gruppe von Patienten, die dem Medizinprodukt ausgesetzt ist (Expositionskohorte), über einen bestimmten Zeitraum verfolgt und mit einer nicht exponierten Gruppe (Vergleichskohorte) verglichen wird. Dieser Studientyp kann sowohl vorwärtsschauen (prospektiv), wie auch rückwärtsschauend (retrospektiv) durchgeführt werden. Es werden üblicherweise zu mehreren Zeitpunkten Daten erhoben.

  • Ziel: Untersuchung der Langzeitwirkung oder des Risikos bzw. Auftretens von bestimmten Erkrankungen.
  • Komplexität: Eine Kohortenstudie ist relativ komplex und wird üblicherweise durch besonders qualifiziertes Personal durchgeführt.
  • Einsatz und bestmögliche Evidenstufe*: Eine Kohortenstudie findet beispielsweise Anwendung, um das Risiko bzw. den Nutzen über einen längeren Zeitraum zu untersuchen. Dabei kann die Evidenzstufe IIb (bei prospektiver Vorgehensweise oder bei Vorliegen aller diagnostischer Kenngrößen zur Testgenauigkeit) erreicht werden.

3. Fall-Kontrollstudie

Retrospektive Beobachtungsstudie, bei der Patienten mit einem bestimmten Ergebnis (Fälle) mit Patienten ohne dieses Ergebnis (Kontrollen) verglichen werden, um mögliche Expositionsfaktoren zu identifizieren, eine Form der epidemiologischen Studie.

  • Ziel: Aufdecken von Ursachen zu sehr selten oder über lange Zeiträume auftretende Erkrankungen
  • Komplexität: geringe Komplexität. aber ggf. lange Beobachtungszeiträume an großen Patientenzahlen, hohe Anforderungen an Statistik
  • Einsatz und bestmögliche Evidenzstufe*: Untersuchung des Einflusses von Rauchen auf Lungenkrebs. Evidenzstufe III.

4. Fallserie, Assoziationsbeobachtungen, retrospektive Analysen und andere nicht vergleichende Studien

Nicht-interventionelle Studie, Beschreibung einer Gruppe von Patienten, die ein bestimmtes Medizinprodukt erhalten haben, jedoch ohne eine Kontrollgruppe.

  • Ziel: Sammlung erster Hinweise auf Sicherheit und Wirksamkeit des Medizinprodukts.
  • Komplexität: gering, kann unter Anleitung / Supervision auch von Nichtspezialisten durchgeführt werden
  • Einsatz und bestmögliche Evidenzstufe*: erste Beschreibungen von neuen Therapien, Symptomen und Erkrankungen, Evidenzstufe IV‍

5. Fallstudien, Einzelfallberichte, beschreibende Darstellungen

Beobachtungsstudien, bei der Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer Gruppe von Patienten gesammelt werden, kein Einsatz von speziellen Behandlungen für die Beobachteten.

  • Ziel: Bewertung der Prävalenz eines Zustands oder einer Erkrankung in Verbindung mit der Nutzung des Medizinprodukts.
  • Komplexität: gering
  • Einsatz und Evidenzstufe*: erste Beschreibungen von neuen Therapien, Symptomen und Erkrankungen, Evidenzstufe V

* aktuell (2024) gibt es international mehrere Hierarchiesysteme zur Klassifizierung der Aussagekraft (Wertigkeit) von medizinischen Forschungsvorhaben. In Anlehnung an die Klassierung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Fast-Track-Verfahren für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nutzen wir an dieser Stelle die Formulierung Evidenzstufen.

Weitere Studientypen umfassen auch sog. "cross-over"-Studien, bei denen Patient:innen abwechselnd das zu untersuchende Prüfprodukt und ggf. die Standardtherapie erhalten. Möglich sind auch Kombinationen aus prospektiven und retrospektiven Elementen (sog. Hybridstudien).

Jedes Studiendesign hat spezifische Vor- und Nachteile und eignet sich je nach den Forschungsfrage, Zielen und dem Entwicklungsstand des Medizinprodukts. Die Wahl des geeigneten Studiendesigns ist entscheidend, um valide und zuverlässige Daten zu generieren, die den Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745, (EU) 2027/746, des MPDG oder des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DiGAV) oder anderer Gesetze oder Regulatorik entsprechen und zur sicheren und wirksamen wissenschaftlichen Bewertung von Medizinprodukten beitragen.

Bei MEDIACC bieten wir umfassende Unterstützung beim Entwickeln des geeigneten Studientyps. Kontaktieren Sie uns gerne für ein erstes unverbindliches Gespräch!

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