Wie ist mit interkurrententen Ereignissen in klinischen Studien umzugehen?
Damit die Ergebnisse von klinischen Studien mit existierenden Behandlungen verglichen werden können, müssen sie hinsichtlich des untersuchten Behandlungseffekts für Ärzt:innen, Behörden und Verbände transparent und nachvollziehbar erarbeitet und berichtet werden. Da viele Studien diesbezüglich Mängel aufweisen, wurde das sogenannte Estimandskonzept eingeführt.
Ein Estimand ist eine präzise Beschreibung des Behandlungseffekts, die die klinische Fragestellung der Studie widerspiegelt.
Das Estimandskonzept bietet eine strukturierte Methode, um festzulegen, welcher Behandlungseffekt in einer Studie untersucht werden soll. Ein Estimand setzt sich aus fünf Merkmalen zusammen: der Behandlung selbst, der Gruppe der Studienteilnehmenden, der zu messenden Größe, der Zusammenfassung der Ergebnisse auf Gruppenebene und dem Umgang mit Ereignissen, die während der Studie auftreten und die Ergebnisse beeinflussen könnten. Diese Merkmale werden im interdisziplinären Austausch während der Studienplanung basierend auf der klinischen Fragestellung festgelegt.
Der Begriff interkurrente Ereignisse (engl. intercurrent events, ICEs) definiert Ereignisse, die nach Beginn der studienbedingten Behandlung auftreten und entweder die Interpretation oder das Vorhandensein von Messungen beeinflussen, die mit der klinischen Fragestellung verbunden sind. Hierzu gehören z. B. der Beginn einer neuen Therapie, Behandlungswechsel oder -abbrüche oder die Einnahme von Notfallmedikamenten. Zum Umgang mit diesen Ereignissen schlägt die EMA in ihren wissenschaftlichen Leitliniendokumenten über statistische Grundsätze für klinische Studien von Arzneimitteln (CPMP/ICH/363/96 und EMA/CHMP/ICH/436221/2017) 5 unterschiedliche Herangehensweisen vor.
Dieses Vorgehen ist sinngemäß auch auf klinische Prüfungen mit Medizinprodukten anwendbar. Die von der EMA bevorzugte und erwartete Strategie für die Handhabung von interkurrierenden Ereignissen ist die Strategie der Behandlungsrichtlinien (engl. treatment policies).
Das Addendum schlägt weitere drei Strategien vor, um mit diesen Ereignissen umzugehen: "hypothetisch", "komposit" und "während der Behandlung". Es ist entscheidend, die Unterschiede zwischen den Strategien zu verstehen und genau zu formulieren, welche bei der Erstellung des Estimands verwendet werden.
Für interkurrierende Ereignisse wird die Behandlungsrichtlinie als präferierte spezifische Strategie festgelegt. Die Behandlungsrichtlinie sieht vor, dass die Daten aller Studienteilnehmenden in die Hauptanalyse einbezogen werden, unabhängig davon, ob interkurrierende Ereignisse aufgetreten sind oder nicht. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Wirksamkeit der untersuchten Intervention unter realen Bedingungen zu bewerten.
Hiernach wird wie folgt vorgegangen:
- Datenerhebung: Alle Daten werden weiterhin erhoben, unabhängig vom Auftreten von ICEs.
- Datenanalyse: Die Daten werden in die Hauptanalyse einbezogen, als ob das ICE nicht aufgetreten wäre.
- Interpretation: Die Wirksamkeit der Intervention wird unter realen Bedingungen bewertet, einschließlich möglicher ICEs.
Diese strukturierte Herangehensweise soll sicherstellen, dass die klinische Fragestellung klar definiert, die entsprechenden Studienmethoden zur Beantwortung dieser Frage angewendet werden kann und somit die Interpretation der Studienergebnisse und der Bewertung ihrer Zuverlässigkeit möglich ist.
Dieses Wissen ist relevant für Hersteller von DiGA bzw. für Statistiker, die DiGA-Hersteller in der Erstellung des statistischen Analyseplans unterstützen oder sie beraten, da das BfArM diese Herangehensweise erwartet.
(Stand Juli 2022)
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