Nicht interventionelle Studien
Während in klinischen Studien der Phase I–IV die Wirksamkeit eines Arzneimittels in einer Patientenpopulation nach klinischem Studienprotokoll untersucht wird, werden in nicht interventionellen Studien Patienten in der täglichen klinischen Praxis unter realen Bedingungen behandelt.
Auch bei klinischen Prüfungen von Medizinprodukten werden interventionelle und nicht interventionelle Studie unterschieden.
Eine nicht interventionelle Studie ist eine Untersuchung, bei der Erkenntnisse aus der Behandlung von Patienten mit Arzneimitteln und/oder Medizinprodukten anhand epidemiologischer Methoden gewonnen werden, wobei die Behandlung einschließlich Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan folgt, sondern ausschließlich der üblichen ärztlichen Praxis entspricht.
Je nach Klassifizierung des Prüfprodukts werden nicht interventionelle Studien unterschiedlich gesetzlich geregelt:
- nach § 4 Absatz 23 Arzneimittelgesetz (AMG): „Die nichtinterventionelle Prüfung ist eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis; soweit es sich um ein zulassungspflichtiges oder nach § 21a Absatz 1 genehmigungspflichtiges Arzneimittel handelt, erfolgt dies ferner gemäß den in der Zulassung oder der Genehmigung festgelegten Angaben für seine Anwendung."
- Art. 74 oder 82 der Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) sowie Anhang XIV
- §15 der Berufsordnung für in Deutschland tätige Ärzte (BOÄ)
- in Deutschland als „sonstige klinische Prüfung“ nach § 3 Abs. 4 und den Anforderungen nach § 47 des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (MPDG), das im Zusammenhang mit der EU MDR 2017/745 zu lesen ist
Anwendungsbeobachtungen bei Arzneimitteln
Anwendungsbeobachtungen (AWB) sind Untersuchungen, die dazu bestimmt sind, Erkenntnisse bei der Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel zu sammeln. Anwendungsbeobachtungen sind nicht interventionelle Prüfungen im Sinne von § 4 Absatz 23 Satz 3 Arzneimittelgesetz (AMG). AWB sind nicht genehmigungspflichtig, werden aber angezeigt. Nach § 67 Absatz 6 (10) AMG stellt die zuständige Bundesoberbehörde die ihr übermittelten Anzeigen und Abschlussberichte im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung.
In der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (EU MDR 2017/745) sind für die klinische Bewertung (Anhang XIV, Artikel 61) über klinische Prüfungen (Anhang XIV, Artikel 62-82) auch die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen (Art. 74, post-market clinical follow-up; PMCF, Anhang XIV) sowie Überwachung nach dem Inverkehrbringen (post-market surveillance; PMS, Artikel 83) geregelt. Die klinische Evidenz für PMCF und PMS können über Anwendungsbeobachtungen unter Einhalten der Regularien gewonnen werden.
Wirksamkeitsprüfung eines Arzneimittels nach der Zulassung (PAES)
Eine Wirksamkeitsprüfung nach der Zulassung (PAES) wird durchgeführt, um das Verständnis der therapeutischen Wirksamkeit und des Nutzen-Risikos eines Arzneimittels mit Auswirkungen auf eine optimale Anwendung im klinischen Alltag zu verbessern. Das Design der Studie sollte ethisch und wissenschaftlich begründet sein.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat eine wissenschaftliche Leitlinie entwickelt, die beschreibt, wie die Studien gestaltet werden sollten, um die regulatorische Beschlussfassung in der Europäischen Union zu unterstützen.
Unbedenklichkeitsprüfung nach der Zulassung (PASS)
Eine Unbedenklichkeitsprüfung nach der Zulassung gemäß § 4 Absatz 34 AMG wird wie folgt definiert: "Eine Unbedenklichkeitsprüfung bei einem Arzneimittel, das zur Anwendung bei Menschen bestimmt ist, ist jede Prüfung zu einem zugelassenen Arzneimittel, die durchgeführt wird, um ein Sicherheitsrisiko zu ermitteln, zu beschreiben oder zu quantifizieren, das Sicherheitsprofil eines Arzneimittels zu bestätigen oder die Effizienz von Risikomanagement-Maßnahmen zu messen."
Eine Unbedenklichkeitsprüfung nach der Zulassung kann angeordnet oder freiwillig vom Unternehmer initiiert, finanziert und durchgeführt werden.
Nicht interventionelle Studien bei Medizinprodukten
Rahmenbedingungen
Die Rahmenbedingungen für nicht interventionelle klinische Studien von Medizinprodukten lassen sich finden in:
- MDR
- MPDG (deutsches nationales Recht)
- DiGAV (Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung)
- ISO 14155
Nach der DIN EN ISO 14155:2021-05, I.6.3 sind nicht interventionelle klinische Prüfungen eine besondere Art von Studie für Medizinprodukte nach dem Inverkehrbringen (auf dem Markt mit CE-Kennzeichen) sind. Weiter gilt:
- Das Medizinprodukt wird so verwendet, wie es normalerweise eingesetzt wird.
- Die Ärzte entscheiden entsprechend klinischer Notwendigkeit, welches Produkt für einen Patienten am besten geeignet ist. Es gibt keinen vorher festgelegten Plan, der bestimmt, wer welches Produkt bekommt.
- Die Entscheidung, das Produkt zu verwenden, hat nichts damit zu tun, ob jemand an der Studie teilnimmt oder nicht.
- Die Patienten müssen keine zusätzlichen oder belastenden Untersuchungen über sich ergehen lassen.
- Die Forscher sammeln Daten und werten sie mit speziellen Methoden aus, um Erkenntnisse über das Produkt zu gewinnen.
Solche Studien werden oft auch als "Beobachtungsstudien" bezeichnet, weil die Forscher nur beobachten, was ohnehin in der normalen medizinischen Praxis geschieht, ohne einzugreifen.
Die ISO 14155 bezieht sich hauptsächlich auf interventionelle klinische Prüfungen und weniger auf nicht interventionelle Studien.
Elemente, die zeigen, dass es sich NICHT um nicht interventionelle (beobachtenden) Studien für Medizinprodukte handelt (beispielhaft):
- Randomisierung (zufällige Verteilung zu Behandlung oder Nichtbehandlung)
- Einsatz eines Medizinprodukts ohne CE-Kennzeichen
- Einsatz eines CE-gekennzeichneten Medizinprodukts außerhalb der Zweckbestimmung
- Prüfung, ob die Beachtung eines In-vitro-Diagnostikums zu einer anderen ärztlichen Entscheidung führt
- zusätzliche invasive oder belastende Maßnahmen
ACHTUNG: Nach deutschem Recht (MPDG und §15 der BOÄ) sind in nicht interventionelle Studie involvierte Prüfärzte verpflichtet, sich VOR Beginn einer solchen Studie durch die für sie zuständige Ethikkommission berufsrechtlich und ethisch beraten zu lassen.
Beispiele für nicht interventionellen Studien für Medizinprodukte
Nicht interventionelle Studien (NIS) für Medizinprodukte:
- Diese sind in der MDR nicht explizit geregelt, werden aber im nationalen Recht (z.B. im deutschen MPDG) erwähnt.
- Nach dem MPDG sind NIS systematische Untersuchungen von CE-gekennzeichneten Medizinprodukten im Rahmen ihrer Zweckbestimmung, die keine zusätzlichen invasiven oder belastenden Maßnahmen erfordern.
Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) Studien:
- Diese sind in der MDR vorgesehen und dienen der weiteren Bewertung von CE-gekennzeichneten Produkten innerhalb ihrer Zweckbestimmung.
- PMCF-Studien fallen unter Artikel 74 Abs. 1 MDR und haben weniger strenge Anforderungen als "normale" klinische Prüfungen.
Anwendungsbeobachtungen (AWB):
- Diese sind im deutschen Recht für Medizinprodukte vorgesehen, ähnlich wie bei Arzneimitteln.
- AWB dienen der Beobachtung der Anwendung von Medizinprodukten unter Alltagsbedingungen.
Retrospektive Datenauswertungen:
- Diese gelten weder als klinische Prüfungen nach MDR noch als NIS, fallen aber unter die allgemeinen Bestimmungen des Forschungsrechts.
Auswertungen von Patientenregistern:
- Ähnlich wie retrospektive Datenauswertungen, werden diese nicht als klinische Prüfungen oder NIS betrachtet.
Für DiGA-Hersteller gilt, dass für die vorläufige Aufnahme einer DiGA nicht interventionelle Studie im Sinne einer sog. "systematischen Datenauswertung" nach DiGAV (Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung) verwendet werden können, um das Potenzial einer medizinischen App zu zeigen.
Hersteller und Sponsoren sollten bei der Planung von nicht interventionellen Studien für Medizinprodukte die spezifischen nationalen Regelungen beachten, da die MDR hier keine einheitlichen Vorgaben macht. Zudem ist es ratsam, sich bei Unsicherheiten bezüglich der Einstufung einer Studie an die zuständigen Behörden zu wenden und beraten zu lassen.
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